Im September fand die Ackerbau-Epoche unserer dritten Klasse statt: Zunächst bereitete Frau Jost, die Klassenlehrerin, die Kinder eingehend auf die anstehenden Tätigkeiten auf dem Feld vor. Die Kinder lernten die wichtigsten Getreidearten kennen und beschäftigten sich damit, was alles notwendig ist, damit das in die Erde gelegte Korn keimen kann und zu einer neuen Pflanze heranwächst, die im nächsten Jahr Ähren mit vielen Körnern entwickelt:
Sonne, Wind und Regen müssen zusammenwirken, damit der Boden feucht, locker und warm ist; als Helfer sorgen Regenwürmer, Ameisen und viele weitere Bodentiere für ein krümeliges und fruchtbares Saatbett, in dem das Samenkorn aufgehen kann.
Und schließlich sind es die Tätigkeiten der Bauersleute, das Pflügen, Eggen und genaue Ausbringen der Körner, die stets wichtig dafür waren, dass die Saat zu reicher Ernte heranwachsen konnte, so wie es auch heute, wenngleich unter Zuhilfenahme von Maschinen, immer noch ist.
Täglich sangen die Kinder das Lied vom kleinen Samenkorn, das in der dunklen Erde schläft, bis es von der Sonne geweckt wird und zu einer prächtigen Getreidepflanze heranwachsen kann; festen Schrittes durchschritten sie die Gänge zwischen ihren Tischen, um den Säerspruch von Conrad Ferdinand Meyer zu deklamieren, der ihnen den Rhythmus des Säens vorgab. In den Epochenheften entstanden zu den Texten farbenprächtige Bilder.
Am meisten aber freuten die Mädchen und Jungen sich darauf, praktisch tätig zu werden und den eigenen „Drittklass-Acker“ im Schulgarten zu bestellen.
Endlich war es so weit: Angeleitet von den beiden Lehrkräften im Gartenbau, Frau Wertheimer und Herrn Boomes, ließ sich die ganze Klasse vor den Pflug spannen. Unter anfeuernden Rufen zogen alle zusammen an einem langen Seil Furche um Furche, hin und her, her und hin, und so manchem wurde dabei ordentlich warm.
Für die Lehrkräfte war es schön zu erleben, wie unterschiedlich die Kinder mit der Herausforderung umgingen: Während einzelne nach den ersten gezogenen Furchen müde wurden und sich still auf die Pause freuten, war anderen auch gegen Ende der vorgesehenen Zeit keine Ermattung anzumerken und sie hätten wohl noch weiter geschafft. Allen schmeckte im Anschluss das Frühstück doppelt gut; wie es eben so ist nach getaner Arbeit…
Ein paar Tage später wurden die groben Schollen mit der Egge nach dem gleichen Prinzip in feine Krümel zerteilt, alle Kinder an einem Strang ziehend. Schließlich wurde gesät: Jedes Kind bekam ein Säckchen mit Winterroggen, der mit weiten, gleichmäßigen Würfen im steten Schritt auf dem Feld ausgebracht wurde, verbunden mit einem Säerspruch von Conrad Ferdinand Meyer:
Bemesst den Schritt!
Bemesst den Schwung!
Die Erde bleibt noch lange jung!
Dort fällt ein Korn, das stirbt und ruht.
Die Ruh ist süß.
Es hat es gut.
Hier eins, das durch die Scholle bricht.
Es hat es gut. Süß ist das Licht.
Und keines fällt aus dieser Welt
Und jedes fällt, wie’s Gott gefällt.
In den kommenden Herbstwochen werden die Kinder immer einmal wieder nachschauen gehen, wie weit ihre Pflanzen denn schon sind, und sie hoffen, dass die irdischen und himmlischen Helfer ihrem Korn gewogen sind. Und tatsächlich: Der Roggen ist gut aufgegangen, er soll ja als kleines Pflänzchen in den Winter gehen.
Die Klasse beging kurz vor den Herbstferien das Erntedankfest mit selbst zubereitetem Apfelmus, für das sie die Äpfel gemeinsam mit Frau Jost gesammelt hatten.
Im nächsten Jahr wird es dann hoffentlich kleine Brote geben, gebacken aus dem dann geernteten, gedroschenen und gemahlenen Roggen…
Aber bis es so weit sein wird, gibt es noch viel zu tun!
Ulla Bunsen